
Beim Skispringen werden viele Themen behandelt, von der Kniebeuge bis zur Landung, vom richtigen Skifahren bis zur richtigen Psychologie. Bemerkenswert ist daher, dass sich fast alle Skifahrer kurz vor der aktuellen Vierschanzentournee immer wieder mit einem eher ungewöhnlichen Thema beschäftigten – den Zuschauern.
Für 68 Ausgaben war es kein Zweifel, dass sich Fans und Springer während der Tour gegenseitig die Grundlagen vermittelten, der eine den Lärm, der andere die Show. Dann folgten zwei Corona-Jahre bleierner Stille in den Stadien. Nur Arbeiter, Trainer, Sicherheitskräfte oder Reporter schauten zu. Dann standen sie herum, lauschten den Rufen der Krähen im Finale und betrachteten die Schneehaufen auf den Sitzschalen.
Es war eine leicht deprimierende Stimmung, aber jetzt ist es vorbei und die Springer singen die Botschaft weiter. Wichtig ist vor allem, dass das Publikum endlich zurückkehrt. Andreas Wellinger etwa freute sich auf „die beste Stimmung des ganzen Jahres“ und in Oberstdorf „auf ein Fahnenmeer unserer Fans“, durch das er in der Qualifikation und im Finale (Donnerstag, 29. Dezember) segeln wird. Sein Trainer, Stefan Horngacher aus Österreich, bestätigt, dass die Trainer von ihrer hohen Position unten am Berg alles spüren. Der Österreicher Stefan Kraft hat es mit den treffendsten Worten auf den Punkt gebracht. “Das schafft eine tolle Atmosphäre, das Herz wird höher schlagen.”
Sogar die Teampräsentation wurde zu einer Party
Stimmungsberichte sind oft seltsam, aber in diesem Jahr wird es ein zentrales Thema bei der Vierschanzentournee sein. In Garmisch, Innsbruck und Bischofshofen schlagen die Skifahrerherzen weiter, in Oberstdorf wird es zu Beginn traditionell besonders laut. Schon die Präsentation der Mannschaft wurde zu einer großen Party mit einem Fahnenmeer. Das Qualifying am Mittwoch war überdurchschnittlich, der Auftaktfinaltag am Donnerstag ist ausverkauft. 27.000 Zuschauer werden erwartet.
Es gibt Gründe zur Freude, die Sportler hier loben. Denn Skispringen ist eine Sportart, deren Erfolg mehr vom Publikum abhängt als in vielen anderen Disziplinen. „Ich will Spaß haben“, sagt die aktuelle Vize-Weltmeisterin, die Slowenin Anje Lanishek, dann wird er auch erfolgreich sein. Jeder im fliegenden Zirkus wird das bestätigen. Um diesen Zustand zu erreichen, benötigt man jedoch die richtigen Bewegungen auf die Zehntelsekunde genau, weshalb man sein Denken abschalten und sich einfach seiner eigenen, verinnerlichten Sprungsequenz hingeben muss. Und was könnte dazu förderlicher sein als das hüpfende Skiherz im tosenden Lärm?
Genuss statt Anstrengung. Skispringen ist kein Gewichtheben
Zudem ist es gar nicht unfair, dass Skifahrer, anders als beispielsweise Gewichtheber, keine Gewalt anwenden, sondern ihr eher nachgeben sollten. Denn ihr Sport setzt ihnen immer dann zu, wenn ihre Form monatelang festgefahren ist. Aber wenn sich alles von selbst wieder zusammenfügt, besteht eine gute Chance auf einen außergewöhnlichen Moment. Sportpsychologe Oscar Handow sagte im Vorfeld der Skisprung-WM 2022, das Erlebnis des Fliegens sei wie ein Rausch, nach dem Springer schon früh süchtig werden, was immer noch besser für das Selbstbewusstsein sei, als sich durch Risse zu verletzen. .
Auf einer Schanze wie der Schattenbergschanze in Oberstdorf ist die Spannung genauso groß. Skifahrer Richard Freitag hatte einst ein Webportal Sportsignal beschreibt, wie der gesamte Sprungvorgang aussieht. Von Anfang an, wenn der Athlet mit dem Aufzug den Turm hinauffährt und sich den wartenden Fliegern anschließt, steigt die Spannung. Sobald er sich auf den Weg begibt, verschwindet das Denken, weil für mehr als einen Gedanken sowieso kein Platz ist;
In der Luft, besonders wenn der Sprung erfolgreich erscheint, entsteht eine Art ausgeprägtes Erlebnis; „Man spürt die Luft um sich herum rauschen, das Geräusch am Helm ist intensiv“, sagt Freitag. Der Flug blickt das Tal hinunter, dann den Hang des Fluges hinunter und über seinen Rand. Alles wird klar. Nach 50 Metern verspürt der Flieger pure Freude, Endorphine werden in seinem Körper ausgeschüttet, Verspannungen werden abgebaut, er liegt stabil in der Luft.
Wie alle Vergiftungen hat aber auch diese ihre fatalen Seiten, allen voran die Vergiftung beim Eröffnungswettbewerb in Oberstdorf. Denn Statistiken besagen, dass nur gut ein Drittel aller Auftaktsieger auch die Tour gewonnen haben. Und von den zwölf Deutschen, die zuletzt in Oberstdorf gewonnen haben, schaffte es keiner in Bischofshofen weiter. Vielleicht überdeckt dieses Glück etwas von der Anstrengung in Oberstdorf, die sich dann auf der Tour bemerkbar macht, womöglich noch mehr bei dieser Publikumspremiere nach Corona. Allerdings will niemand mehr die Stille der vergangenen Jahre.