
BERLIN. Karl Lauterbach verließ das „Team Wissenschaft“ – und ging ins Lager der Verharmlosung der Folgen des Coronavirus. Mit seinem gestrigen Eingeständnis, dass die Schließung von Kindergärten auf dem Höhepunkt der Pandemie unnötig gewesen sei, begibt er sich auf dünnes Eis. Kommentar von News4teachers-Redakteur Andrej Priboschek.

Welch ein Wunder haben wir es zu verdanken, dass der massive Betrieb einer Kita mit fast 800.000 Beschäftigten und 3,9 Millionen Kindern angeblich nicht „Ursache der Pandemie“ war, sagte Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach plötzlich behauptet? Der Bericht, den der SPD-Politiker gestern vorstellte, spricht von der Wirksamkeit von Masken – blöd nur, dass Kindergartenkinder gar keine Masken tragen und auch nicht den nötigen Abstand halten können.
Jedenfalls gibt es in dem Papier wenig Neues zu bieten, erst recht keine neuen Daten. Diese wurden nicht erhoben. Wie dünn der Bericht war, zeigt die Fallstudie Long Covid bei Kindern: Die vom Bundesgesundheitsministerium und dem Bundesfamilienministerium geförderte Studie umfasste eine telefonische Befragung von rund 150 Eltern, von denen 31 ein infiziertes Kind hatten. . Das Ergebnis: „Es wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen Kita-Kindern gefunden, die zuvor eine Corona-Infektion hatten, und Kindern, bei denen die Infektion noch nicht diagnostiziert wurde.“ Dieses Ergebnis ist aufgrund der geringen Stichprobengröße mit Vorsicht zu genießen.
“Ich stehe dazu, eine Ansteckung mit der Omicron-Variante wäre nicht für Kinder verantwortlich, geschweige denn für Erwachsene.”
Aber Vorsicht ist offensichtlich nicht das Ding von Karl Lauterbach, zumindest nicht mehr. Er zieht ein mutiges Fazit: „Die Schließung von Kindergärten ist sicherlich medizinisch nicht sinnvoll und wäre nach heutigem Kenntnisstand nicht in dem Maße notwendig gewesen, wie wir es damals getan haben.“ Und: „Solche Schließungen wird es nicht mehr geben.
Irritierend. Derselbe (?) Karl Lauterbach hatte im Januar erklärt, damals neu ernannter Gesundheitsminister: „Dazu stehe ich, eine Infektion mit der omicron-Variante ist in keiner Weise für Kinder verantwortlich, sondern auch für Erwachsene“, sagte er. „Das sollte man nicht auf die leichte Schulter nehmen. Hier werden viele Menschen schwer krank und bleiben lange krank. Das wollen wir unseren Kindern auf jeden Fall ersparen.” Im Dezember hatte er gefordert: „Die Verharmlosung von Covid bei Kindern muss ein Ende haben.“
Der Politiker, dem in dem sozialen Netzwerk 715.000 Menschen folgen, erklärte dann auf Twitter: Das Virus befällt die wachsenden Zellen der Gehirne von Kindern. “Wenn Kinder nach Covid nicht riechen oder schmecken können, wirkt sich das auf das Gehirn aus. Wollen Sie das? Wer von den Trivialisierern kann garantieren, dass diese Kinder in 5 Jahren keine neurologischen Auffälligkeiten entwickeln?” Und weiter: „Ich höre auch immer wieder, dass selbst mit der Delta-Option „nur“ 1% der Kinder im Krankenhaus landen würden. Wenn das die Unfallquote von Schulbussen wäre, wäre die Hölle los.“
Und nun erklärt Lauterbach im Nachhinein die (bereits kurzzeitigen) Kita-Schließungen zum Schutz von Kindern und Personal für unnötig, ohne dass sich die Daten grundlegend geändert hätten. Einen nachvollziehbaren Grund für diese 180-Grad-Schwenkung nennt er nicht. Der im Internet kursierende Witz, dass der echte Karl Lauterbach von Reptiloiden entführt und durch einen Avatar ersetzt wurde, klingt plötzlich gar nicht mehr so albern.
Sollte es mit einem neuen Virus – mit dem Lauterbach restriktive Schutzmaßnahmen rechtfertigen will – wieder zu einer ähnlichen Krise kommen?
Viele sehen in Lauterbachs Auftritt eine groteske Randnotiz, weil Deutschland kein Interesse mehr an Corona hat und täglich 100-300 Covid-19-Tote in Kauf nimmt. Das Problem dabei ist allerdings, dass der Bundesgesundheitsminister all den Querdenkern und Verschwörungstheoretikern reichlich Stoff zum Weiterspinnen gibt. Die Bild-Zeitung, die von Anfang an gegen jeglichen Schutz (und gegen angesehene Wissenschaftler, die zur Vorsicht aufriefen) agitiert, triumphiert. Schutzmaßnahmen waren unnötig, Wissenschaftler reden Unsinn – das haben wir schon immer gewusst.
Sollte mit einem neuen Virus wieder eine ähnliche Krise kommen – was will Lauterbach mit Einschränkungen begründen? Zumindest Erzieherinnen und Erzieher wissen jetzt, woran sie sind: Sie haben keinen Schutz vor der nächsten Pandemie. Auf den aktuellen Bundesgesundheitsminister können sie sich jedenfalls nicht verlassen. News4teachers
Später erklärt Lauterbach die Schließung der Kita für unnötig, verliert aber kein Wort über die Mitarbeiter